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Schon seit ein paar Tagen kränkle ich dahin: Schwindel, Kratzen im Hals, vor allem aber ein dumpfes Gefühl im Schädel, das womöglich gar auf einen Morbus Dörfler hindeutet. Wie jeder vernünftige Mensch gehe ich mit diesen Symptomen natürlich nicht zum Doktor, sondern schaue im Internet nach. Das Internet ist der größte Tummelplatz von Hobbyärzten weltweit. Wenn ich schnell und kostenlos eine Diagnose und Therapietipps brauche, bin ich im Internet noch stets fündig geworden.

Warum es heute so ist, dass im Internet zehnmal mehr Ärzte ordinieren als in der wirklichen Welt? Ganz einfach: Weil der Staat übertriebene Anforderungen an die Ausübung des Arztberufes stellt. Der Hang zum Doktorspielen liegt jedem jungen Menschen im Blut. Beim Doktorspielen kann man interessante Körperteile inspizieren und lehrreiche Tastuntersuchungen vornehmen. Zusatzvorteil der kindlichen Arzttätigkeit: Die Volksgesundheit wird verbessert, die Krankenkassen werden entlastet.

Leider schiebt der Gesetzgeber diesem natürlichen Drang zur Laienmedizin einen Riegel vor, indem er es nur studierten Ärzten erlaubt zu praktizieren. Ein Medizinstudium ist sauschwierig, zeitraubend und mühsam. Man muss komplizierte Wörter wie Helicobacter Pylori oder Gastroenterologie oder Paranoia querulans auswendig lernen. Man muss dutzende Multiple-Choice-Tests bestehen und formolgetränkte Leichen sezieren. Wenn man als guter Diagnostiker gelten will, muss man sogar den Unterschied zwischen einem Beinbruch und einer Mittelohrentzündung erkennen.

Darum weichen viele, die sich instinktiv zur Medizin hingezogen fühlen, aber die Umstandskrämerei an der Uni scheuen, in den virtuellen Raum aus und eröffnen kurzerhand eine Praxis im Internet. Anders als die Schulmediziner sind die Laienärzte im Web spontan und unverbildet. Ich habe mich mit meinen Beschwerden in ein paar Medizinforen gemeldet und sofort wertvolle Tipps bekommen: "Das ist sicher nur der Blutdruck." "Das ist sicher psychosomatisch." "Das habe ich auch schon gehabt, das geht in vierzehn Tagen vorüber." "Probier's doch einmal mit tibetischen Klangschalen" . "Dagegen hilft ein Leberwickel mit Yakbutter, hundertpro".

Vielen Dank für die Hinweise. Genutzt haben sie zwar vorläufig nichts - aber ich werde einfach fleißig weitergoogeln. (Christoph Winder, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.01.2010)